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11. März 2024

“Der kollaborative Vorteil ist der neue Imperativ für die nächsten Jahrzehnte”

Oliver Gassmann - Professor für Technologie- & Innovationsmanagement - spricht im Interview über Chancen des Öffnens nach außen, woran gemeinsames Arbeiten im Ökosystem mitunter scheitert, welche Risiken nach wie vor bleiben und warum es keine Alternative zur Vernetzung im globalen Business gibt.
Oliver Gassmann im Gespräch, warum an Kollaboration kein Weg vorbeiführt.
Oliver Gassmann im Gespräch, warum an Kollaboration kein Weg vorbeiführt.

Der Titel Ihrer Neuerscheinung bricht mit der Forderung nach Collaborative Advantage das bis dato vorherrschende Konzept des Wettbewerbsvorteils, der Competitive Advantage auf. Was hat sich geändert? Warum sollten Führungskräfte hier lang tradiertes Vorgehen neu überdenken?

Bisher haben Generationen von Managern gelernt, wie man mit Porter’schen Denken Wettbewerbsvorteile entwickelt. Es ging in der Regel um ein begrenztes Spielfeld, die Branche, bei der es nur Nullsummenspiele gibt. Dies bedeutet, einer gewinnt auf Kosten des anderen. Unternehmen müssen besser sein als ihre Wettbewerber. Heute haben sich diese Dinge massiv geändert: Durch sinkendende Transaktionskosten über APIs und andere Standards sinken die Kosten für Kooperationen. Durch überall verfügbares Computing werden enorme Daten generiert, welche die Kundenreise verbessern kann. Moderne KI, verbesserte Algorithmen und vor allem seit der letzten Dekade die neuen tiefen neuronalen Netzwerke haben die Möglichkeiten einer verbesserten Customer Journey enorm erhöht. Kunden wollen zudem die Leistung aus einer Hand, kompetent und komfortabel. Für den neuen Wettbewerb heißt dies: Entlang der Kundenreisen entstehen neue Ecosysteme, bei denen Lieferanten, Partner und Wettbewerber stark zusammenarbeiten, um ein verbessertes oder neues Kundenversprechen abzuliefern. Ecosysteme funktionieren aber nur auf Basis von engen Kollaborationen, wechselseitig vernetzten Wertschöpfungssystemen. Kurzum: Die alte Branchenanalyse der Wettbewerbsvorteile hat ausgedient. Competitive Advantage wird ersetzt durch Collaborative Advantage, bei der ganze Wertschöpfungsketten miteinander konkurrieren, statt wie früher nur Produkte oder Unternehmen.

Sie betonen, dass die Win-win-Formel in einer kompetitiven Wirtschaft nicht mehr ausreicht. Worin entsteht bzw. besteht der neue, echte Mehrwert?

Bisher hat es ausgereicht, dass ein Unternehmen einen Mehrwert für den Kunden liefert und selbst dabei gewinnt. Kundenwert und eigener Gewinn sind die klassischen Win-win-Konstellationen. In modernen Ecosystemen sind aber die Wertschöpfungsketten eng miteinander verbunden. Es reicht nicht mehr aus, dem Kunden etwas zu bieten. Geschäftsmodelle müssen so gestaltet werden, dass es Win-Win-Win-Konstellationen gibt: Der Kunde muss einen Mehrwert haben, das ist klar, aber auch alle Partner im Ecosystem müssen profitieren. Das ist nicht immer einfach.

In der Wissenschaft hat gemeinsames Arbeiten an Problemfeldern mittlerweile wertvolle Tradition – Stichwort Open Innovation. Dennoch gibt es Ressentiments von Unternehmen, sich zu weit zu öffnen. Sind diese Ängste unbegründet? Oder anders gefragt: Birgt Kollaboration nicht auch neue Risiken, gerade im internationalen Business?

Aus meinen 20 Jahren Forschung im Bereich Open Innovation kann ich zusammenfassen: Die Risiken der Öffnung werden überschätzt, die Chancen unterschätzt. Aus Angst vor Wissensabfluss werden häufig Alleingänge unternommen. Dabei werden enorme Chancen für Konzentration auf die eigenen Kernkompetenzen mit Hebeleffekten durch smarte Partnerschaften völlig unterschätzt. Leider sind gerade die KMUs und der Mittelstand, welche ja wenig Ressourcen haben, am wenigsten bereit für offene Kooperationen. Große Tech-Player gehen stark Kollaborationen ein. Diese Bedeutung wird noch mehr steigen bei den aktuellen GenAI Themen. Large-Language-Models kann ein einzelnes Unternehmen kaum neu aufbauen, hier gilt es mit Partnerschaften zu arbeiten, um für die eigenen Kunden einen maximalen Mehrwert zu liefern.

Womit ist zu rechnen ist, wenn diese Ökosysteme nicht gemeinsam bespielt werden? Wer wird das Spielfeld übernehmen?

Ich bin fest davon überzeugt: Nur wer kooperiert, überlebt in der neuen Welt. Einzelgänger wird es noch in Nischen geben, aber die großen Wachstumspotentiale werden in Kollaborationen gewonnen. Der kollaborative Vorteil ist der neue Imperativ für die nächsten Jahrzehnte.

Was sind, heruntergebrochen, die wichtigsten ToDo’s in Unternehmen, um agile, kollaborative Netzwerke wirksam zu orchestrieren?

Zunächst würde ich hier beim ‚Purpose‘ anfangen: Warum müssen wir kollaborieren? Was ist unsere Vision? Wo können wir gemeinsam stärker gewinnen? Wie können wir gemeinsam eine bessere Customer-Journey gestalten? Diese Fragen müssen sehr gründlich angegangen werden. Abkürzungen in der Zielfindung und in der Beantwortung der ‚Warum?-Frage‘ rächen sich später stark.

Als zweites ist es wichtig, dass ein offener Mindset geprägt wird. Dies hört sich einfacher an, als es ist. Beide Organisationen müssen eine offene, lernorientierte Kultur entwickeln. Die gute Nachricht hierbei ist, dass dies möglich ist. Wir haben praktische Tools entwickelt, wie man eine offene Innovationskultur gestalten kann und haben sehr positive Feedbacks auf Industrie und Wirtschaft erhalten.

Drittens gibt es dann hinreichend Methoden, wie man Agilität auch in kollaborativen Innovationsprozessen aufrecht erhalten kann. Es gilt hierbei so rasch wie möglich zu lernen und Fehler frühzeitig zu machen. Das ist heute bereits Standard, hilft aber erst, wenn die ersten beiden Schritte erfolgreich sind.

Die Unternehmen im Green Tech Valley zeichnet ein hoher Innovationsgrad aus. Was geben Sie als international anerkannter Innovationsmanagement-Experte unseren Unternehmen als Tipp mit?

Mein robuster Tipp heißt: Denke groß, starte klein, mache günstige Fehler und beweg dich schneller. Große Visionen sind wichtig, jede Reise startet aber mit konkreten ersten Schritten.