Isabell Welpe: „Wir reden zu viel und handeln zu wenig.“

Isabell M. Welpe plädiert für mehr Freiraum und Dynamik am Standort Europa. Die Deutsche ist Expertin für die digitale Transformation in der Wirtschaft, Professorin an der TU München und Speakerin am Zukunftstag 2024.
Digitalisierung F&E Finance
Isabell Welpe

Über den digitalen Wandel in der Arbeitswelt:

Die wichtigsten Innovationen der letzten 15 Jahre betrafen nicht Technologien, sondern neue Arbeits- und Denkweisen, die neue Geschäftsmodelle hervorbringen. Früher waren die wertvollsten Unternehmen weltweit die Technikführer. Heute sind es Unternehmen, individuelle Problemlösungen für Kunden anbieten, wann und wie auch immer diese es brauchen. Vor 2006 gegründete Unternehmen zeichneten sich häufig durch Dinge aus, die heute keine Erfolgsfaktoren mehr sind, im Gegenteil: Etwa viele fixangestellte MitarbeiterInnen zu haben war früher ein Zeichen der Stärke, wohingegen das heute oft einfach nur teuer ist, die Flexibilität hemmt und notwendige Geschäftsmodellanpassungen erschwert. Regulierungen galten als Schutzmechanismen gegen das Vordringen von beispielsweise digitalen Unternehmen – heute weiß man, dass das nicht funktioniert hat. Auch das Prinzip des Abschottens von Betriebsinformationen hat in vielen Branchen ausgedient, da es von Vorteil ist, möglich transparent aufzutreten und Wissen zu teilen. Wer zu den Gewinnern gehören möchte, muss also bereit sein, alles in Frage stellen: Wie wir denken, arbeiten, führen und organisieren.

#BETTERTOGETHER

Zukunftstag 2024 - 9. Oktober

Über das Potenzial der Blockchaintechnologie:

Die Blockchain-Technologie hat das Potenzial, den Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Rechten und Geld komplett zu verändern. Zu den Gewinnern dieser virtuellen Technologie werden vor allem jene zählen, die reale Werte produzieren und geistiges Eigentum erschaffen. Die revolutionäre Innovation der Blockchain lautet: Wir brauchen keine Intermediäre mehr. Nach der Hardware- und der Software-Revolution kam die Welle der Plattform-Unternehmen wie Google, Facebook und Co, die als Plattform-Unternehmen, mit zentralisierter Datenspeicherung arbeiten und dadurch großen Einfluss haben. Blockchains hingegen bereiten den Weg für eine dezentrale Ökonomie: Daten, Informationen und Rechte können in Form verbindlicher Smarter Contracts zwischen Einzelpersonen, also viel kleineren Einheiten, gemanagt werden. Der Kern des Wirtschaftens sind ja Wirtschaftstransaktionen und Informationen. Wenn im Blockchain-Internet das Versenden von Geld und Gebrauchs- oder Verfügungsrechten so einfach wird wie das Versenden einer E-Mail, dann ist das ein Paradigmenwechsel.

Über die Herausforderungen am Standort Europa:

Vieles spricht für den Standort Europa, allem voran: Wir haben eine sehr gute Ausbildungslandschaft, die ausgezeichnete Talente und Fachkräfte hervorbringt. Zweitens ist Europa ein Kontinent der sicheren Rechtsstaaten: Es herrscht das Prinzip des Vertrauens in der Wirtschaft, Verträge halten und gesetzliche Rahmenbedingungen sind verbindlich.

Wir müssen aufhören, zu reden und anfangen, zu handeln. Let’s do it!“
Isabell Welpe

Das ist global alles andere als selbstverständlich. Unser Problem liegt im Faktor Mensch: Wir können die hervorragenden Talente, die wir ausbilden, nicht halten, sondern verlieren sie an andere Standorte, insbesondere die USA. Dem demokratischen Wandel versucht man zu begegnen, indem man Studierende aus China, Indien oder der Türkei an unsere Fachschulen holt. Dennoch können wir den Bedarf nicht decken. Dazu kommt, dass wir für aus dem Ausland kommende Fachkräfte nicht sehr attraktiv sind: Neben den steigenden Kosten für die Lebenshaltung liegt das vor allem in der überbordenden Verwaltung, in der Bürokratie, die alles einbremst und schwerfällig macht. Am Ende ist es aber der talentierte Mensch, der Erfolg, Innovation, neue Unternehmen und Geschäftsmodelle hervorbringt. Die Frage ist also nicht nur: Welche Ressourcen und Menschen habe ich am Standort zur Verfügung, sondern auch: Wieviel Freiraum gewähre ich ihnen, zu wirken? Es gibt einen Witz, in dem die USA, Asien und die EU gemeinsam eine Party veranstalten: Die USA bringen die Software, Asien die Hardware, und die EU sagt: „Ich bringe die Regulationen.“

Über die Kraft des Tuns:

Wir reden zu viel und handeln zu wenig. Wir regulieren häufig zu viel und ermöglichen zu wenig. Es mangelt uns nicht an Talent, Ressourcen und Möglichkeiten! Deshalb täten wir gut daran, uns am amerikanischen „Let’s do it!“ zu orientieren. Regulation und Kontrolle können sinnvoll und richtig sein, wenn man sich dadurch nicht selbst behindert. Das Thema Datenschutz etwa zeigt diese Ansätze in Europa: Wir dürfen uns nicht einmauern, wir können die Daten zu unser aller Vorteil sinnvoll nützen. Was uns voranbringt und guttut, sind Verbindungen, Austausch und Netzwerke, wie wir das am Zukunftstag der steirischen Wirtschaft tun werden. Kooperation und Kommunikation hat immens an Bedeutung gewonnen. Es geht um das Vorleben von Kultur und das eigene Aktivwerden, das Mit-gutem-Beispiel-Vorangehen. Wenn ich Gründungen unterstützen will, investiere ich selbst in gute Ideen, soweit es mir möglich ist. Ins Handeln kommen und aufhören zu reden, das ist mein dringender Appell an uns alle.

About:

Prof. Dr. Isabell M. Welpe ist Professorin und Leiterin der Forschungsgruppe Strategie und Organisation an der Technischen Universität München. In ihren aktuellen Projekten beschäftigt sie sich mit der digitalen Transformation von Unternehmen, den Auswirkungen von digitalen Technologien auf Wirtschaft und Organisationen sowie der Zukunft von Führung und Arbeits-bzw. Organisationsgestaltung. Isabell Welpe gehört dem Vorstand des „Center for Digital Technology and Management“ an und ist Mitglied im „Münchener Kreis“, einer der führenden deutschen Plattformen für „Gestalter und Entscheider in einer digitalen Welt“. Sie wird am Zukunftstag der steirischen Wirtschaft in der Steiermark zu Gast sein und eine der beiden führenden Keynotes halten.