Europa zu Gast in Graz: „Egal, welche Herausforderungen wir bewältigen, es braucht die Cluster dazu.“
Unter dem Motto „Tradition neu erfunden“ beschäftigt sich der Event mit der Frage, wie Cluster den Wandel zu einer klimaneutralen, digitalen Zukunft anführen können. Gäste aus 12 Nationen werden erwartet. Im Interview Mariella Masselink, Abteilungsleiterin für „Industrial Forum, Alliances and Clusters“.
SFG: Welche Rolle spielen die Cluster bei der Bewältigung aktueller Herausforderung in Wirtschaft und Gesellschaft — Stichworte Wirtschaftsstandort Europa, Green Transition, neue Mobilität u. Ä.?
Mariella Masselink: In der EU-Generaldirektion „Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU“ erleben wir täglich, welch wichtige Rolle die Cluster bei der Umsetzung der gesamteuropäischen industriepolitischen Ziele spielen. Die Strategie fokussiert auf den grünen und den digitalen Wandel sowie auf das Thema Resilienz am Wirtschaftsstandort Europa. Damit wir diese Ziele erreichen, brauchen wir die Cluster unbedingt: Sie bringen die Strategie auf den Boden und treiben die Umsetzung in ihren jeweiligen Ökosystemen voran. Insbesondere bilden Cluster Resilienz, da sie die Unternehmen in ganz Europa zu Wertschöpfungsketten bündeln. Sie vernetzen die Industrie vom Kleinst- bis zum Großunternehmen mit Forschungseinrichtungen, sie bauen Brücken zwischen Fachkräften, Arbeitgebern und Ausbildungsanbietern. Cluster vernetzen die Player innerhalb ihrer Region und unterstützen gleichzeitig Internationalisierung und Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinaus. In der Clusterkonferenz kürzlich in Brüssel formulierte Generaldirektorin Kerstin Jorna die Erkenntnis: „Egal, welche Herausforderungen wir bewältigen wollen, es braucht die Cluster dazu.“ Und das war ein wirklich schöner Satz, den wir mitgenommen haben. Kommissar Breton bezeichnete die Cluster als „im Herzen unserer Industriepolitik angesiedelt“ – und genauso sehen wir das.
SFG: Sind Cluster in allen Industrienationen Europas verankert?
MM: Ja, Cluster gibt es in nahezu allen Mitgliedstaaten. Allerdings sind diese Clusterlandschaften sehr unterschiedlich gewachsen. In manchen Ländern dominiert eine zentrale Clusterpolitik: Frankreich beispielsweise verfolgt mit dem pôle de compétitivité einen gesamtheitlichen Ansatz, die Clusterexzellenz zu fördern. Ein ebenso starkes Bewusstsein gibt es auch in Deutschland oder Spanien, insbesondere Katalonien. In anderen EU-Mitgliedsstaaten sind die Cluster organisch gewachsen und nicht unbedingt in ein gesamtpolitisches Konzept eingebettet. Unsere Aufgabe ist, aufzuzeigen, wie wirksam eine ganzheitliche Clusterstrategie ist – für die regionalwirtschaftliche Entwicklung, aber auch für Europa als Ganzes.
SFG: Die thematische Ausrichtung der Organisationen wird in vielen Ländern ähnlich sein?
MM: Naturgemäß bilden sich Cluster entlang der wichtigen industriepolitischen Richtsätze und Ziele, am stärksten wachsen sie in den Bereichen Digitalisierung und erneuerbare Energien. Aber auch traditionsreiche Sektoren wie Agrarwirtschaft, Gesundheit oder Mobilität spielen nach wie vor eine tragende Rolle in der Wirtschaftsentwicklung. Rund 60 Prozent der europäischen Clusterorganisationen sind in den letzten 15 Jahren entstanden, speziell auch in den neueren EU-Mitgliedsstaaten ab dem Jahr 2004. Hier hat ein wichtiger Aufholprozess stattgefunden.
SFG: Die Idee der Stärke durch Zusammenarbeit geht in der Steiermark weit zurück. Der ACstyria wurde als Österreichs erster Autocluster bereits 1995 gegründet, also vor fast 30 Jahren. Inwiefern haben sich zentrale Aufgaben, Herausforderungen und Wirkungsweise der Cluster über die Jahrzehnte verändert?
MM: In der Tat stand im Zentrum der Idee immer die regionale Entwicklung durch Kooperation und die Partnerschaft aller Akteure entlang der Wertschöpfungskette. Im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Krisen und geopolitischen Spannungen ist das Prinzip der Resilienz immer mehr in den Fokus gerückt. Wenn wir unseren Wirtschaftsstandort anderen Kontinenten gegenüber stärken wollen, müssen wir uns über die Grenzen hinweg verbinden, Wertschöpfungsketten in ganz Europa bilden und unsere Lieferketten insgesamt absichern. Krisensicherheit ist also ein hochaktuelles Ziel der Clusterpolitik.
SFG: Worin sehen Sie Ihre Rolle und Aufgabe als EU-Generaldirektion?
MM: Wir haben ein breites Portfolio an Maßnahmen, die alle ein Ziel verfolgen: das Bewusstsein der Politik dafür zu stärken, wie essenziell Cluster in der Wirtschaftsentwicklung einer Region sind und Cluster in ganz Europa zu vernetzen. Wir rücken die Organisationen ins Zentrum, um ihren Mehrwert, ihre Wirkkraft zu zeigen. Unter unseren Veranstaltungen und Netzwerktreffen ist „Clusters meet Regions“ ein wichtiges Event. Der Termin in Graz ist unser 16. Treffen innerhalb von etwa mehr als zwei Jahren. Wir waren in vielen Regionen Europas, zuletzt in Mailand. Es ist eine großartige Möglichkeit, die Stärken der jeweiligen Region ins Rampenlicht zu stellen und zu zeigen, welchen Beitrag die Cluster dazu geleistet haben. Das lässt sich anhand vieler Indikatoren belegen: Mit der Präsenz von Clustern steigen etwa die Anzahl der Unternehmensgründungen, betriebliche F&E-Quoten, Patentanmeldung und Beschäftigungszahlen – eine Reihe positiver Auswirkungen! „Clusters meet Regions“ bringt regionale Player aus Wirtschaft und Politik an einen Tisch und vernetzt Regionen und Organisationen über nationale Grenzen hinweg: In den letzten Jahren sind daraus viele Wirtschaftskooperationen entstanden.
SFG: Können Sie Beispiele nennen?
MM: Ja, sehr gerne. Ein Projekt, auf das wir sehr stolz sind und das aus meiner Sicht großen Mehrwert bringt, ist das Projekt Eurocluster. Ziel ist die Zusammenarbeit von Clustern und KMU in ganz Europa, um die EU-Industriestrategie umzusetzen. Insgesamt sind etwa 100 europäische Cluster in 30 Partnerschaften in über 14 industrielle Ökosysteme hinweg beteiligt.
Sie befassen sich mit einigen der wichtigsten Herausforderungen des grünen und digitalen Wandels, der Innovation, Internationalisierung und Resilienz für ihre Mitglieder. Die Konsortien leisten hervorragende Arbeit. 75 Prozent von insgesamt 42 Millionen Euro fließen im Rahmen der Initiative direkt an KMU. In den folgenden fünf Euroclustern sind steirische bzw. österreichische Partner beteiligt: AEC Eurocluster (Ökosystem Bauwesen), RESIST (Mobilität, Verkehr und Automobilsektor), SILEO (Kultur- und Kreativwirtschaft, Einzelhandelsökosysteme), Eurocluster SILICON (Ökosystem Elektronik) und DESIRE (Ökosystem Gesundheit).
SFG: Frau Masselink, Sie sind gebürtige Grazerin – worauf freuen Sie sich besonders, wenn Sie im Zuge von „Clusters meet Regions“ die Heimat besuchen?
MM: Ich bin schon lange in Brüssel und es ist schön, die Steiermark als starke Region von außen wahrzunehmen. Zugleich liebe ich natürlich meine Wurzeln und freue mich sehr auf Graz – am meisten auf Familie und liebe Freunde!
Mariella Masselink
ist Abteilungsleiterin für „Industrial Forum, Alliances and Clusters“ (Industrieforum, Allianzen, Cluster) in der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU der Europäischen Kommission. Die Abteilung führt Industrie- und Unternehmensnetzwerke, Veranstaltungen und Finanzierungsprogramme zusammen, um Unternehmen in allen Phasen ihres Wachstums zu unterstützen und ihnen zu helfen, innerhalb und außerhalb der EU-Grenzen effektiv zusammenzuarbeiten. Mariella Masselink verfügt über umfangreiche Erfahrung in den Dienststellen der Kommission, unter anderem im Bereich Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten sowie EU-Haushalt. Vor ihrem Eintritt in die Kommission war sie im österreichischen Bundeskanzleramt im Bereich der europapolitischen Koordinierung tätig.