Golem Digital: „Wer braucht das, was ich mache, überhaupt?“
Sind Sie schon einmal im Flugtaxi über die Grazer Innenstand geflogen, haben durch den Glasboden die Wellen der Mur tanzen sehen und wären über dem Kunsthaus beinahe mit einem anderen Flugobjekt touchiert? Haben Sie schon einmal den Schlossberg im Jahr 1800 besucht? Ihr neues Haus durchwandert, bevor es steht? Willkommen in der Welt von Golem Digital: Von der täuschend echten 3D-Visualisierung über Drohnenflüge bis hin zum mitreißenden Virtual-Reality-Erlebnis entwickelt das Grazer Unternehmen Digitalabenteuer, die dem echten Leben fast schon den Rang ablaufen. Für Projekte wie diese schoss das SFG-Programm „Ideen!Reich“ 60.000 Euro Förderung zu.
Die Anfänge des Unternehmens wurzeln in der Immobilienbranche. Der Salzburger Immo-Entwickler Hillebrand wollte potenziellen Käufern einen virtuellen Rundgang durch Liegenschaften ermöglichen – das künftige Heim sollte realistisch in 3D zu besichtigen sein. Wie in allen Projekten arbeitete Golem Digital partnerschaftlich mit dem Kunden zusammen und entwarf die Anwendung maßgeschneidert nach Wunsch.
„Jemand sagt: ‚Ich brauche das. Könnt ihr das?‘ Und wir recherchieren los. So entsteht Innovation.“Golem digital Gründer Johannes Fasching
„Wir recherchieren los!“
CEO Johannes Fasching: „Innovation entsteht oft aus einem Bedarf. Jemand tritt an uns heran und sagt: ‚Ich brauche das. Könnt ihr das?‘ Dann recherchieren wir los.“ Damit die Idee vom Hirngespinst zum Produkt wird, braucht es Trial und Error, enge Kooperation mit dem Kunden und ständigen Blick auf den realen Markt. So werde die Marschrichtung – im Sinne eines „lean development“ – immer wieder nachjustiert und man produziere nicht an der Nachfrage vorbei. „Meiner Erfahrung nach machen viele Start-ups den Fehler, zu viel Energie in die Entwicklung zu stecken und zu wenig in den Vertrieb. Denn als Unternehmer muss ich mich ständig fragen: „Will das, was ich mache, überhaupt jemand haben?“
Ein weiterer Geschäftszweig der in Geidorf ansässigen Firma ist Computer Vision, also Software zur Bilderkennung. Sollten Sie dieser Tage im höchsten Wolkenkratzer der Erde parken, dem Burji Khalifa in Dubai, und nach dem Restaurantdinner Ihr Auto nicht wiederfinden, hilft Ihnen Golem Digital: Eine spezielle Software hat sich die Nummerntafel Ihres Wagens gemerkt und navigiert Sie via App zum Standort.
Lesen bei 1.200 Grad
Für ein polnisches Stahlwerk hingegen entwickelten Fasching und Co ein weltweit einzigartiges Lesesystem zur Stempelung von Eisenbahnschienen: Es liefert selbst unter Extrembedingungen von bis zu 1.200 Grad Celsius exakte Ergebnisse. Wie in allen Projekten stellte der Full-Service-Provider Konzept, (bei Bedarf Hard- und) Software sowie Coaching zu Wartung und Anwendung.
Um den Ideenreichtum an Mann und Frau zu bringen, braucht es mitunter Bewusstseinsbildung. Denn nicht alle sind offen für die kreativen Welten, in die virtuelle Tools einladen. „Immobilien sind eine konservative Branche, hier findet erst langsam ein Umdenken statt.“ Manchen Menschen seien auch VR-Brillen (noch) nicht ganz geheuer. Fasching: „Was in China längst Alltag ist, muss sich in Europa erst durchsetzen.“ Mitleid muss man trotzdem keines haben: Laut einer Prognose soll sich der globale Umsatz mit Virtual Reality im Jahr 2021 auf mehr als 25 Milliarden US-Dollar belaufen. Ein Stück des Kuchens ist mit Sicherheit steirisch.
Sigrid Gaisch-Faustmann